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Ein aufgegebener Geist

Last updated on 21. Februar 2024

Ein schöner Fund zu einer veralteten Verwendung der Wendung „den Geist aufgeben“.

Nicht nur technische Geräte können ihren Geist aufgeben (und dies ist die zeitgenössische Bedeutung dieser Wendung), sondern auch Menschen.

Diese Bedeutungsebene wurde mir erst während der Lektüre von Christian von Stolbergs Sophokles-Übersetzung bewusst.

Um Sophokles‘ Ableben ranken sich Sagen, die Stolberg in seiner Vorrede zu seiner Übersetzung mitteilt. Über die dritte und letzte dieser Sagen kam ich darauf:

"Eine dritte Sage will, daß er [sc. Sophokles] in einer zahlreichen Versammlung seine Antigonä vorgelesen, und sowohl von dem Inhalte seines Gedichts, als von der Gewalt, mit der es auf seine Zuhörer würkte, hingerissen, seine Stimme nicht genug gemäßiget, und plötzlich in dem schnellsten Tode seinen Geist aufgegeben habe."

[Christian Graf zu Stolberg:] [Vorrede] in: Sofokles übersetzt von Christian Graf zu Stolberg. Bd. 1. Leipzig: Göschen 1787, S. I–XXXVIII, hier: XV.

„Eine dritte Sage will, daß er [sc. Sophokles] in einer zahlreichen Versammlung seine Antigonä vorgelesen, und sowohl von dem Inhalte seines Gedichts, als von der Gewalt, mit der es auf seine Zuhörer würkte, hingerissen, seine Stimme nicht genug gemäßiget, und plötzlich in dem schnellsten Tode seinen Geist aufgegeben habe.“

[Christian Graf zu Stolberg:] [Vorrede] in: Sofokles übersetzt von Christian Graf zu Stolberg. Bd. 1. Leipzig: Göschen 1787, S. I–XXXVIII, hier: XV.

Gerade in Kombination mit dem Possessivpronomen ist diese Wendung, meiner Meinung nach, sehr charmant, weshalb ich versuchen werde, sie in meinen aktiven Sprachschatz zu überführen und nur dazu anhalten kann, das Gleiche zu tun.

Sophia Krebs, 22.12.23

Ergänzung: Lebensbringer Knoblauchzehe

Kürzlich stieß ich in einer Rezension zu einer Biographie über Johann Caspar Lavater, verfasst von seinem Schwiegersohn („Tochtermann“) Georg Geßner, auf ein kurioses Reanimationsmittel.

Und zwar war Johann Caspar Lavater im Jahr 1741 wohl eher schwächlich auf die Welt gekommen, überlebte nur knapp. In’s Leben zurückgeholt wurde er von einer massiven Knoblauchfahne; in der Rezension zu dem Buch heißt es:

Quelle: [Christoph Friedrich Ammon:] Rezension zu Johann Caspar Lavater’s Lebensbeschreibung, von seinem Tochtermann, Georg Geßner. … In Göttingische gelehrte Anzeigen 68 (28. April 1803), 674–680, hier: 675.


„Lavater wurde bekanntlich am 14. December 1741
zu Zürch geboren, wo er schnell und unerwartet,
aber auch so schwach zur Welt kam, daß er, be-
reits scheinbar ausathmend, nur durch den schar-
fen Geruch zerkauten Knoblauchs wieder ins Leben
zurückgerufen werden konnte.“

Quelle: [Christoph Friedrich Ammon:] Rezension zu Johann Caspar Lavater’s Lebensbeschreibung, von seinem Tochtermann, Georg Geßner. … In Göttingische gelehrte Anzeigen 68 (28. April 1803), 674–680, hier: S. 675.

Das Interesse an diesem kuriosen Start ins Leben war geweckt, also hilft nur ein Blick ad fontes. Was zum Papelgeyer steht wohl in der Vorlage, wenn diese Story in der Rezension steht?

Es stellte sich heraus, dass sich seine Mutter überraschend und rasch von ihm, Johann Caspar, ihrem zwölften Kind, entband. Allein und ohne Hilfe. Als Lavater „schon ausathmen wollte“, kam endlich die Wärterin (Kinderpflegerin) hinzu, die gerade auf einer Knoblauchzehe herumgekaut haben musste, denn sie hatte eine so stattliche Fahne, dass sie das Lavaterbaby durch Anhauchen reanimieren konnte.

In der Vorlage heißt es:

Unser L a v a t e r war schon bey seiner Ankunft in die
Welt, schnell und überraschend, wie Er dieß durch sein
ganzes Leben hindurch, freylich in einem andern, vom
Charakter abhängenden Sinne war. Den 15. Wintermonat
1741, Nachmittags 1 Uhr, überraschte er nämlich seine
Mutter, deren zwölftes Kind er war, so sehr durch seine
Ankunft, daß sie, ohne noch eine sehr nahe Niederkunft
zu erwarten, das Bette hütend und ganz allein im Zim-
mer, ohne alle fremde Hülfe sich plötzlich von ihm ent-
bunden sah. Diese Schnelligkeit hätte ihn beynahe das Le-
ben gekostet. Mit bebenden Armen hielt die, ziemlich
lange vergebens um Hülfe rufende Mutter, den Knaben,
der schon ausathmen wollte, als endlich eine Wärterin
kam, die den scharfen Geruch zerkauten Knoblauchs dem
Knaben in die Nase hauchte, wodurch er wieder die Lebens-
farbe, und seine bestürzte Mutter die Ruhe erhielt.

Johann Caspar Lavater’s Lebensbeschreibung, von seinem Tochtermann, Georg Geßner. Winterthur: Steiner 1802, S. 9.

So hat die Kinderpflegerin ihm zwar keine neue Atemseele eingehaucht, doch hat die Kraft ihres Knoblauch-Odems Lavater am Leben erhalten.

Sophia Krebs, 7.2.2024

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